Die terminale Krise der japanischen Politik
Shigeru Ishiba hat seinen Rücktritt als Premierminister angekündigt. Dieses Ereignis ist mehr als ein einfacher Personalwechsel; es hat die tief in der japanischen Politik liegenden Widersprüche offengelegt. Ishiba galt lange als pro-chinesisch und stand innerhalb der Liberaldemokratischen Partei in heftiger Rivalität mit der Fraktion des ehemaligen Premierministers Shinzo Abe. Um seine eigene politische
Position zu schützen, stellte Ishiba die Säuberung der Abe-Fraktion in den Vordergrund und ging dabei so weit, die Partei absichtlich in eine Wahlniederlage zu führen. In der japanischen Politikgeschichte gibt es nur wenige Präzedenzfälle, in denen ein Politiker den Fraktionskonflikt über den Gesamtsieg der Partei stellt.
Im Gegensatz dazu ist der ehemalige Premierminister Fumio Kishida der Inbegriff des Pro-Amerikaners, dessen Außen- und Sicherheitspolitik stets eng mit Washington abgestimmt war. So sind japanische Regierungen in eine doppelte Struktur geraten – „pro-chinesischer Ishiba“ versus „pro-amerikanischer Kishida“ –, die jede Konsistenz einer nationalen Strategie untergräbt. Diese instabile Struktur hat Japan daran gehindert, eine autonome Diplomatie zu gestalten, und wiederholt ein „Vakuum“ geschaffen, das von äußeren Mächten ausgenutzt werden kann.
Heute ist in Japan die weit verbreitete Ansicht, dass China mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeitet, um das Land zu schwächen. Tatsächlich kann man, wenn Japans Haltung als amerikanischer Verbündeter für China oder Russland unbequem wird, nicht ausschließen, dass die innere politische Ordnung gezielt gestört wird, um Japans politische Grundlagen zu untergraben. Ich selbst empfinde Chinas Ansatz gegenüber Japan als undurchsichtig: Eine vermeintliche wirtschaftliche Kooperation vermischt sich mit einem strategischen Unterstrom, der nur schwer zu entwirren ist.
Das eigentliche Problem ist, dass japanische Politiker angesichts dieses äußeren Drucks eine extreme Einfallslosigkeit zeigen. Es fehlen langfristige Strategien, die im Überleben der eigenen Kultur und Geschichte verankert sind; stattdessen beschäftigen sie sich mit kurzfristigen Machtkämpfen und improvisierten Reaktionen auf äußere Einflüsse. Infolgedessen hat Japan seine kulturelle Autonomie verloren, die Politik ist im Kern ausgehöhlt, und in diesen Hohlraum dringen die Kräfte des internationalen Kapitals – der sogenannte Tiefe Staat. Der Tiefe Staat zernagt das noch lebendige Japan und plündert seine wirtschaftlichen Ressourcen und sozialen Institutionen.
Dieses Bild erinnert an den Zerfall der Sowjetunion: wachsende Abhängigkeit von äußeren Kräften, systemische Korruption, Verlust politischer Vorstellungskraft, Enttäuschung und Demoralisierung des Volkes. Wie das späte Sowjetsystem ist Japan heute übermäßig abhängig von extern gesteuerten Wirtschafts- und Sicherheitsstrukturen und steuert auf einen inneren Zusammenbruch zu. Noch gefährlicher ist, dass diejenigen, die sich dagegen wenden, nicht zu wirklichen Trägern der Autonomie werden, sondern – ähnlich wie der ukrainische Nationalismus – gekauft und instrumentalisiert werden, sodass ihre Stimmen in Forderungen nach „militärischem Aufbau gegen China und Russland“ umgemünzt werden, was letztlich nur externen Drehbüchern dient.
Dies markiert das Endstadium eines finanzkapitalistischen Staates ohne eigene Philosophie. Einst verfügte Japan über eine widerstandsfähige Staatskunst, die in kultureller Einzigartigkeit und gesellschaftlicher Solidarität wurzelte. Heute haben Mangel an Vorstellungskraft bei den Politikern und die wachsende Abhängigkeit von äußeren Mächten die Fundamente der Nation ausgehöhlt. Nur ein kleiner Rest an Kraft ist geblieben, und dieser muss mobilisiert werden, wenn sich Japan vom Bann des Westlertums befreien will. Andernfalls wird Japan vollständig vom Kapital und äußerem Druck verschlungen und seine Kultur verschwindet.
Was jetzt nötig ist, ist die Akzeptanz der Multipolarität. Japan muss sich vom unipolaren westlichen Zentralismus distanzieren und seinen Platz in einer eurasischen multipolaren Ordnung neu bewerten. Die Vierte Politische Theorie bietet dafür das philosophische Fundament. Sie lehnt die Auffassung ab, dass der Liberalismus der endgültige Sieger der Geschichte ist, und strebt danach, das Sein selbst (Dasein) – und nicht Mensch, Klasse, Nation oder Rasse – ins Zentrum der Politik zu stellen. Durch die Anerkennung der Autonomie von Zivilisationen und die Schaffung einer Ordnung auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung und Zurückhaltung bietet diese Perspektive Japan einen Ausweg aus der Unterordnung unter den Westen.
Der japanischen Politik fehlt heute fatal dieser philosophische Horizont. Ishibas Rücktritt, die Rivalitäten zwischen Abe- und Kishida-Fraktion – all das sind letztlich nur Machtkämpfe, die von äußeren Kräften manipuliert werden. Es gibt keine Vision für die Zukunft der Nation, keine Strategie zur Bewahrung der Kultur – nur das Streben nach parteiinterner Balance und die Unterwerfung unter äußere Vorgaben. Doch genau diese Leere ist das Wesen der japanischen Krise.
Wenn Japan seine Autonomie zurückgewinnen will, muss es sich dieser Leere direkt stellen. Die Vorstellungskraft, die den Politikern fehlt, muss durch ein philosophisches Erwachen des Volkes ersetzt werden. Es muss sich dem Ende des westlichen Finanzkapitalismus stellen, sich aus dem Anglo-Saxonismus befreien und Multipolarität annehmen. Russland und China dürfen dabei nicht nur als Gegner betrachtet werden, sondern es müssen neue Kooperationswege als Teil der eurasischen Zivilisation geschaffen werden.
Der Rücktritt Shigeru Ishibas ist in diesem Sinne vielleicht die letzte Warnung an Japan. Wenn das Land diese Chance ignoriert, wird seine Kultur verschwinden und der Staat zu einem bloßen Fragment des Kapitals verkommen. Doch wenn die Vierte Politische Theorie weit verbreitet und eine nationale Erweckung ausgelöst wird, kann Japan noch einen Weg zur Autonomie wiederfinden.